Bildungsabend zur Energiewende der KLB Ottobeuren

Ein Stuhl auf der Kippe, so sieht Raimund Kamm unser Klima. Ständig schlagen die Werte weiter aus. Wie der Stuhl könne es aus seiner Balance kommen.
21.11.2022 | Bildungsabend zur Energiewende der KLB Ottobeuren

„Wir sind die letzte Generation, die noch nicht unter dem Klimawandel leiden musste und das noch eindämmen kann“, machte Kamm die Situation deutlich. Lange war Deutschland mit Biogas, Windkraft und Fotovoltaik vorbildlich. Diesen Weg sollten wir wieder beschreiten, empfahl er. Aktuell befinden wir uns mit der Energiewende „Stromwende, Verkehrswende und Wärmewende“ in der dritten Industriellen Revolution nach den ersten Spinnmaschinen, dann Elektrizität, Erdöl, Auto. Wenn Banken in erneuerbaren Energien ein sicheres Geschäft sehen, ist für Kamm klar, „Fotovoltaik Anlagen (PV) sind relativ risikoarm“. KDFB-Vorsitzende Rebecca Sailer war von der enormen Besucherresonanz begeistert, als nahezu Hundert Interessierte zum Infoabend kamen.

Permanent scheint die Sonne auf unsere Erde. Wir erhalten von ihr „das Zehntausendfache, was wir brauchen“. So sei es leicht auf die bisherigen Energieträger zu verzichten. Auch BN-Vorsitzender Herbert Poppele ist überzeugt, dass das Heizen mit einer „Luftwärmepumpe und PV-Strom“ bald zum Standard werden kann. Ein Laubbaum baue 1,5 Prozent der Energie in Masse um. Schnell wachsende Hölzer und Mais könnten 3 Prozent speichern. In Biogasanlagen würden Bakterien die Mais-Energie in Methangas verwandeln und Abwärme erzeugen. Dann werde das Gas in Motoren von 30 Prozent Leistung verbrannt. Zu diesem Ertrag hätten die Biogas Betreiber aber viele Kosten für pflügen, säen, düngen, ernten und die Anlage füttern. Nach Abzug des Aufwandes bleibe je Hektar 0,5 Prozent der Sonnenenergie als Nutzen. Freiflächen-PV habe den 40fachen Ertragsfaktor gegenüber Biogas. Ein Hektar Freiflächen-PV entspreche 40 Hektar Mais. Vorteil bei Biogas sei, laut Poppele, sie „können sich an- und abschalten“ und nach Bedarf liefern. Wenn Biogasanlagen mit Reststoffen (Gülle/Mist) versorgt werden, sei das OK. Auch weitere Vorteile sieht Kamm in Biogas, wenn sie gereinigtes Gas in das öffentliche Netz einspeisen. Mit Nahwärme könnten sie Haushalte beheizen. Den Betreibern und Gemeinden empfahl Kamm, sich nicht von fremden Investoren überrollen zu lassen. Die Gemeinden sollen ihre Gestaltungsmöglichkeiten nützen. Bei Windrädern könnten sich die Bürger in einer „GmbH und Co KG“ beteiligen. Sie könnten sich auch vorab in einer

Genossenschaft vereinen und sie in die GmbH einbringen. Eine Genossenschaft als alleiniger Träger berge Gefahren.

Allen müsse klar sein, „in zehn Jahren wird sich unser Stromverbrauch mindestens verdoppeln“. Zugleich habe sich in Eismessungen der Antarktis ergeben, dass der CO2-Gehalt (Kohlenstoffdioxid) der eingeschlossenen Luft immer schon schwankte. Vulkanausbrüche hätten die Gasmenge erhöht. Pflanzenbewuchs senke das CO2, wenn die abgestorbenen Pflanzen ihr Material im Boden speicherten (etwa als Moor). Die Industrialisierung in 200 Jahren habe die Mengen merklich angeschoben und in Kurven steigen lassen. Ähnlich Wolken verhalte sich das Gas und lenke die abgestrahlte Erdwärme wieder zurück. Ohne CO2 wäre es auf der Erde ständig Minus 17 Grad Celsius kalt, so Kamm. Die aktuelle Erwärmung sei wie eine um zwei Grad erhöhte Körpertemperatur beim Menschen anzusehen. Kamm sieht einen Kipppunkt kommen, wie beim Stuhlschaukeln. Immer schneller werde der Eispanzer an den Polen dünner. Dunkle Meeresfläche steige, heize sich mit Sonnenlicht auf und erwärme die Umwelt. Das Meer könne keine weiße Eisschicht bilden und Sonnenlicht zurückstrahlen. Ähnlich gehe auch das Abholzen der Amazonaswälder einem Scheitelpunkt entgegen.

Die aktuelle Energiemenge aus nachhaltigem Erzeugen sei bereits bei 45,8 Prozent angekommen. Wahre Arbeitspferde seien Solar- und Windkraft. Bei Energielücken seien Biogas, Holz- und Wasserkraft wertvolle Puffer. Vor 20 Jahren habe die elektrische Leistung von Solarzellen (Kw-peak) das Zehnfache gekostet, bei Windkraft das Doppelte. Moderne Stromtrassen hätten zudem ihren Leitungsverlust halbiert. Die Umspannwerke hätten einen Puffer und könnten mit ihren Speichern, Stromspitzen auffangen. Frühmorgens oder abends könnten sie „dazuschieben“ und „mittags gehen sie speichern“. Schwer sei es aber Strom vom Sommer mit in den Winter zu nehmen. China mache jährlich so viel Neuanlagen, wie Europa hat, schildert Kamm unseren Rückstand. Zudem könnte die Industrie Ammoniak, Chlor, Wasserstoff und die Landwirtschaft Methan (CH4), und Lachgas (N2O) einsparen.

Als zukunftsfähig sieht Kamm die „Agrivolktaik“ auf landwirtschaftlichen Flächen. Für die Arbeit in den Freiflächen, ließen sich die Module senkrecht stellen. In Weinried stehe seit 25 Jahren eine Windkraftanlage. Mit 44 Metern Rotordurchmesser und 53 Metern Nabenhöhe leiste sie 100 000 Kilowattstunden. Neue Windräder könnten bei 162 Metern Rotordurchmesser 12 Millionen bringen. Entscheidend sei vor Ort den Strom zu erzeugen. Alle erneuerbaren Energieträger würden einander ergänzen und unabhängig machen, so Kamm.

Josef Diebolder, KLB Ottobeuren